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Was ist systemisch im Systemischen Anti-Gewalt-Training nach Sandvoß SAGT(R)

21. Juni 2025

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Andreas Sandvoß

kontakt@andreas-sandvoss.de

Andreas Sandvoß - SyDeMa - Institut für Konfrontative Pädagogik

Was ist eigentlich „systemisch“ am Systemischen Anti-Gewalt-Training SAGT®?
Ein Blick hinter die Haltung, die Methode und das Netzwerk

Wenn man sich mit Gewaltprävention beschäftigt, stößt man schnell auf Begriffe wie „Anti-Aggressionstraining“, „Konfrontative Pädagogik“ oder auch „soziales Kompetenztraining“. Doch das Systemische Anti-Gewalt-Training SAGT® nach Andreas Sandvoß geht weiter. Es greift nicht nur Verhaltensweisen an der Oberfläche auf – sondern hinterfragt die Bedingungen, die Gewalt möglich, manchmal sogar notwendig machen.

Die Frage, was genau am SAGT® eigentlich „systemisch“ ist, verdient eine fundierte und klare Antwort. In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die theoretischen Grundlagen, die praktische Umsetzung – und warum ein isolierter Blick auf Täterverhalten in komplexen sozialen Kontexten oft zu kurz greift.


1. Haltung statt Rezept: Der systemische Blick auf Verhalten

Im Zentrum des systemischen Arbeitens steht keine Methode, sondern eine Haltung. Das SAGT® basiert auf der Überzeugung, dass Gewalt nicht das Problem, sondern der (verzweifelte) Lösungsversuch eines tieferliegenden Problems ist. Statt Täter zu isolieren oder zu moralisieren, wird deren Verhalten im Zusammenhang mit ihrem System betrachtet – also ihrem sozialen Umfeld, ihren Mustern, Ressourcen und Überlebensstrategien.

Diese Haltung ist geprägt von:

  • Respekt vor der Biografie: Wer Gewalt ausübt, hat meist selbst Gewalt erlebt – körperlich, emotional oder strukturell.

  • Verstehen vor Verurteilen: Nicht das Bagatellisieren von Gewalt ist das Ziel, sondern das Verstehen ihrer Funktion im Leben eines Menschen.

  • Verantwortungsübernahme statt Schuldzuweisung: Jugendliche werden nicht entlastet – aber sie werden ermächtigt, ihr Verhalten selbst zu reflektieren und zu ändern.


2. Systemtheorie: Keine Gewalt ohne Kontext

Die Systemtheorie – etwa nach Niklas Luhmann – geht davon aus, dass kein Verhalten losgelöst von seinem Umfeld existiert. Auch Gewalt ist kein individuelles Problem, sondern ein Kommunikationsmuster, das in einem System (z. B. Familie, Schule, Peergroup) entsteht und aufrechterhalten wird.

Im SAGT® bedeutet das konkret:

  • Nicht der Jugendliche ist „das Problem“, sondern er lebt in einem problematisierten System.

  • Veränderung gelingt nur, wenn nicht nur das Verhalten verändert wird, sondern auch das Umfeld mit einbezogen wird.

  • Es geht um Wechselwirkungen: Wie reagiert das Umfeld auf Gewalt? Wird sie unbewusst belohnt? Gibt es andere Wege, gesehen zu werden?


3. Tutorenprinzip: Lernen durch Beziehung

Ein zentrales Element im SAGT® ist das sogenannte Tutorenprinzip. Jeder Teilnehmer bekommt einen festen Begleiter*in – meist aus dem sozialpädagogischen Team – der/die Beziehung vor Intervention setzt.

Tutoren…

  • begleiten die Jugendlichen über einen längeren Zeitraum,

  • schaffen einen sicheren Raum, in dem Reflexion möglich wird,

  • agieren nicht als Kontrolleure, sondern als Spiegel, Ansprechpersonen und Coaches.

Hier zeigt sich ein zutiefst systemischer Gedanke: Veränderung entsteht in Beziehung – und nicht durch Druck, Strafe oder kurzfristige Trainingsformate.


4. Eltern, Lehrer*innen, Schule: Das Umfeld mit an den Tisch holen

Ein weiterer systemischer Pfeiler im SAGT® ist die konsequente Einbeziehung relevanter Bezugspersonen:

  • Eltern werden nicht als „Erziehungsversager“ betrachtet, sondern als wichtige Systempartner. Sie werden informiert, angehört und – wo möglich – eingebunden.

  • Lehrer*innen und Schule erhalten Rückmeldung, werden mit ins Boot geholt und tragen zur Umsetzungsbegleitung bei.

  • Die Schule ist nicht nur Austragungsort von Konflikten, sondern auch Mitgestalterin der Veränderung.

Diese Einbeziehung stärkt die Nachhaltigkeit des Trainings: Veränderungen im Verhalten gelingen besser, wenn das gesamte Umfeld sich verändert oder zumindest versteht, was geschieht.


5. Die drei Coaches: Sucht, Schulden, Job

SAGT® geht davon aus, dass Gewalt nicht selten ein Symptom tieferliegender Notlagen ist. Wer ständig mit Konsumdruck, Schulden und Perspektivlosigkeit kämpft, erlebt ein chronisches Gefühl von Kontrollverlust – und Kontrolle ist das, was Gewalt oft kurzfristig herstellt.

Deshalb arbeitet SAGT® mit einem drei-gleisigen Unterstützungssystem:

  • Der Suchtcoach hilft, Konsummuster zu erkennen, zu reflektieren und mit dem Teilnehmer Strategien zu erarbeiten, wie man Kontrolle auch anders erleben kann.

  • Der Schuldencoach unterstützt dabei, finanzielle Abhängigkeiten zu analysieren und schrittweise abzubauen – ein oft unterschätzter Auslöser für „kleinkriminelle“ Gewaltformen.

  • Der Jobcoach öffnet Türen zur Teilhabe. Denn wer einen Plan hat – für Ausbildung, Arbeit oder Lebensgestaltung – ist weniger anfällig für destruktive Lösungen.

Diese drei Coaches wirken vernetzt, nicht nebeneinander – sie sind Teil eines umfassenden Systems, das Verantwortung und Unterstützung zugleich bietet.


Fazit: Systemisch heißt nicht weich – sondern wirksam

SAGT® ist kein Wohlfühlprogramm, sondern ein Training mit klaren Botschaften, klarer Struktur – und einem klaren Menschenbild. Es kombiniert konfrontative Elemente mit systemischer Reflexion, Beziehung mit Struktur, Konsequenz mit Empathie.

Wer systemisch arbeitet, sucht nicht den schnellen Effekt, sondern nachhaltige Veränderung. Und diese gelingt nur, wenn man Verhalten nicht isoliert, sondern eingebettet in das betrachtet, was Menschen stärkt oder verletzt – nämlich ihr System.


Neugierig geworden?
Weitere Informationen, Trainingstermine und Materialien gibt es auf www.andreas-sandvoss.de oder direkt bei den zertifizierten SAGT®-Trainer*innen in Ihrer Region.


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